Seeglas - Von der Zeit geschliffen

Warum überhaupt Seeglas Lyrik?

WELLENRAUSCHEN

Leander Linnhoff

12/15/20252 min read

Wellen, die das Seeglas formen

Im Wellenrauschen möchte ich euch gelegentlich Einblick in meine Schreib-, Denk- und Entwicklungsprozesse geben. Denn das Schreiben ist immer auch eine ganz persönliche Begegnung mit den Lesenden, und das gilt natürlich auch umgekehrt. Daher fand ich es nur angemessen, einen ersten Eintrag in dieser Rubrik damit zu beginnen, was Seeglas eigentlich für mich und meinen Weg bedeutet.

Seeglas ist ein faszinierendes Material. Etwas Zerbrochenes ist dem Meer ausgeliefert, den tosenden Mächten der Natur. Dabei gerät es in Bewegung, es ist nicht starr oder statisch. Denn nur durch die Bewegung entsteht eine solche Menge an Reibung mit der Aussenwelt, dass das Seeglas seine Form verändern kann. Es kann sich wandeln, die Bruchkanten werden glatter und weniger verletzend. So entsteht aus dem Glas, das im Meer der Zeit zersplitterte, durch die Bewegung und die Reibung etwas völlig Neues. Es verliert vielleicht seine ursprüngliche Form und Bestimmung. Doch es gewinnt an Schönheit und Einzigartigkeit. Es wird zu einem zeitlosen, verletzten und verletzlichen Schatz, den aufmerksame Augen am Strand finden können. Wenn diese Augen Sensibilität besitzen, erkennen sie die neue, veränderte Wertigkeit der Seeglasscherbe und sehen darin das Kostbare, in dem sich das Licht auf unvergleichliche Weise bricht.

Meine Wellenschläge

Seeglas-Lyrik ist für mich ein Herzensprojekt. Ich schreibe seit meinem zwölften Lebensjahr. Damals begann ich, die Lyriksammlung meiner Mutter zu durchforschen. Die klassischen Balladen hatten es mir besonders angetan. Ich schrieb und veröffentlichte viele kleinere und größere Texte und Gedichte auf verschiedenen online-Plattformen und in Printmagazinen. Es war nicht nur Literatur. Über lange Jahre schrieb ich Rezensionen, Essays und Berichte aus der Welt der Phantastik. Teilzeithelden, Windgeflüster, Zunftblatt, Schattenwelten. Sie alle waren für Jahre die Heimat meines Schreibens, und gelegentlich fanden auch meine Gedichte dort Eingang. Doch in mir blieb eine gewissen Unruhe. Denn was wie eine Linie klingt, fühlte sich an wie ein unsicherer Wellenschlag in mir.

Diese Unruhe war stetiger Teil meines Lebens. Ich war Schauspieler, bin Lehrer, arbeite seelsorgerisch und habe Einblicke in verschiedene andere Berufe genommen. Auch was den Wohnsitz betrifft, war ich unstet wie die Gezeiten. Köln, meine geliebte Heimat, ließ ich hinter mir, um in Koblenz zu studieren und zu arbeiten. Es folgten Jahre in Niedersachsen. Aber wie die Welle immer wieder an den Strand zurückkehrt, zog es mich zurück in den Köln-Bonner Raum, nach Wesseling. Das Meer der Zeit hatte mich nicht unversehrt gelassen. Inzwischen waren nicht nur mein Vater und meine Mutter an Krebs verstorben, sondern auch meine liebe Schwester Pippa. Meine Familie war drastisch kleiner geworden. Doch ich stand noch.

Ich bin Seeglas

Da begriff ich, was ich geworden war. Ich war zu Seeglas geworden, und Seeglas ist reingeschliffen von unnötigem Zierrat und Schnörkeln. Es wurde Zeit, die Masken abzulegen und das Licht strahlen zu lassen. In diesem Jahr fand ich den Aufruf im Café Camus in Bonn, an einer offenen Lesung teilzunehmen. Angetrieben vom zärtlichen Drängen meiner Frau fand ich endlich die Kraft, meinen eigenen Texten eine Stimme zu geben. Ich wurde gehört und erfuhr Wertschätzung. Ich - ohne Masken und Schnörkel. So begann Seeglas-Lyrik.